
Biografie
Als Kind hatte ich die Vorstellung Erfinder zu werden.
Ein Tüftler wie Daniel Düsentrieb aus den Comics von Walt
Disney. Auch interessierte mich früh die Fliegerei,so
bastelte ich in meiner Jugend viel an Modellflugzeugen,
baute Fernsteuerungen ein und ließ sie in regelmäßigen
Abständen auf unseren Feldern hinter dem Haus in den
Himmel steigen.
So war auch anfangs der Gedanke beruflich etwas in dieser Richtung zu
erlernen. Flugzeugingenieur oder Pilot.
Ich besuchte also die Gewerblich-technische Schule für Elektrotechnik
und Maschinenbau in Offenbach am Main. Meine Leidenschaft für technische
Dinge hielt zwar an, doch von Jahr zu Jahr verlor ich immer mehr den Sinn
und die Sinnlichkeit im Errechnen von Parabeln und Funktionen.
Die Fächer auf der Schule waren fast alle mathematisch
und naturwissenschaftlich orientiert. Bis auf ein Fach. Deutsch. Dieses
Fach, sollte in meinem Leben einen Wendepunkt markieren, von dem ich
vorher nicht die leiseste Ahnung hatte.
Der Auslöser war damals das Theaterstück „Andorra“ von Max Frisch, welches
wir im Unterricht behandelten. Meine Leistungen in Deutsch, waren nie
besonders gut. Sie lagen eher zwischen ausreichend und mangelhaft, doch
zum ersten Mal schrieb ich in der Klausur über „Andorra“ eine 1+. Eine
Arbeit, wie mein damaliger Deutschlehrer, Dr. Bernd Weil, behauptete,
mit Abiturcharakter. Das verwunderte mich schon sehr! Was war mit mir
passiert? Ich wusste alles über die Figur Andri: wieso er sich so verhielt
und warum die Gesellschaft um ihn so und so reagierte. Ich hatte es nicht
auf eine analytische Weise begriffen, sondern vielmehr auf eine intensivere,
emotionale Art. Ich hatte die soziale Stellung Andris absorbiert und mich
mit Andri komplett identifiziert. Ich wollte so sein wie er.
Es folgten andere Theaterstücke: „Hamlet“ von Shakespeare und „Die Räuber“
von Schiller. Jedes Mal passierte dasselbe. Jedes Mal identifizierte ich
mich mit den Hauptfiguren, was teilweise so weit ging, dass ich genau so
sein und leben wollte wie sie.
Aber wie sollte ich das machen? Ich konnte ja schlecht wie Karl Moor in
die böhmischen Wälder ziehen und eine Räuberbande gründen.
Alle Figuren hatten eines gemeinsam. Sie waren Außenseiter und Einzelgänger
in der Gesellschaft. Ich sah mich selbst ein wenig so.
„The poor misunderstood boy“ – mit der Energie des Zorns. Als mir dann
noch eine Biografie von James Dean in die Hände fiel, der zweifellos auch
etwas von den eben genannten Figuren und Charakteren hatte, erfuhr ich
zum ersten Mal etwas über Stanislawsky und Lee Strassberg. Ein neues Idol
war für mich geboren.
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich nicht, dass Schauspieler ein „richtiger“
Beruf wäre. Vielmehr glaubte ich, es handelt sich hierbei mehr um ein
Hobby. Schauspieler sind im wahren Leben Schlosser, Elektriker, Metzger
oder was auch immer, und nur nach ihrem Feierabend widmen sie sich der
Kunst. Auch die dämliche Floskel jedes Spießers, Schauspielerei sei
eine brotlose Kunst, hörte ich oft aus den dämlich geöffneten Mündern
meiner Umgebung.
Dass es ein Beruf ist, der nicht nur acht Stunden am Tag in Anspruch
nimmt, sondern 24, sollte ich bald erfahren. Man ist Schauspieler oder
man ist es nicht. Lernen kann man es nicht. Wo kein Talent vorhanden ist,
kann nichts entstehen.
Man kann seine Fähigkeiten nur ausbauen und erweitern.
Ich spürte meine Berufung fast über Nacht und mir war klar, dass ich meinen
Weg gefunden hatte. Dies war 1987.
Entschlossen wie ich war, rannte ich in Frankfurt am Main von Theater
zu Theater und fragte, ob ich als Schauspieler in deren Theater mit-
spielen könnte. Völlig unbedarft und naiv ging ich in ein Theater und
fragte nach einer Anstellung. „Bist du denn Schauspieler?“ fragte mich
eine Sekretärin. „Nun ja, ich hoffe,“ war meine Antwort. Mit
einem mitleidvollen Lächeln schickte mich die Dame wieder zurück auf
die Straße.
Im Radio hörte ich erstmals etwas vom „Schülerclub“. Das war eine Institu-
tion vom Schauspiel Frankfurt, mit jungen Schülern und Studenten Theater
im professionellen Rahmen zu machen. Ich fuhr sofort hin. Alexander
Brill wollte „Candide“ von Voltaire inszenieren. Ich war sofort Feuer
und Flamme. Wir probten wochenlang, und ganz natürlich trennte sich die
Spreu vom Weizen. Eine Hand voll junger ambitionierter Leute blieb übrig.
Wir spielten ein Jahr lang an den Kammerspielen. Richtig eingebunden in
den Spielplan 1987/88 des Schauspiel Frankfurt.
Ich wollte mehr, und so bewarb ich mich bei verschiedenen Schauspielschulen:
Essen, München, Berlin und Hamburg. Irgendwo wird es schon klappen.
Mein Vater war von meiner besessenen Idee, Schauspieler zu werden, alles
andere als begeistert. Er brachte mir jeden Tag Bewerbungsunterlagen für
Firmen wie IBM und SIEMENS mit nach Hause. Es lag mir fern, mich mit
solchen Dingen abzugeben. Mein Vater rief meinen Deutschlehrer, Dr. Bernd
Weil, an, den er verdächtigte, mir solche „Flausen“ in den Kopf gesetzt
zu haben. Er unternahm noch mehrere Versuche, mich von meinem
Vorhaben abzubringen, und fast jeden Abend führten wir erhitzte Diskussionen.
„Ich werde nie einer von denen, die ihr ganzes Leben von neun bis fünf
in irgendeiner Sklavenfirma sich verknechten lassen und fernab vom
Leben dahinvegetieren,“ warf ich ihm ins Gesicht. „Als Ingenieur kann
ich genauso arbeitslos werden, wie als Schauspieler. Aber ich weiß, dass
ich das nicht sein werde. Davon bin ich überzeugt!“
Meinem Vater imponierte mein eiserner Wille. Meine Eltern gaben also ihr
OK, und von diesem Moment an unterstützten sie mich in meinem Vor-
haben. Wahrscheinlich wussten sie insgeheim, dass ich es so oder
so durchgezogen hätte, wenn nötig auch ohne ihre Hilfe.
Ich tingelte im Frühjahr 1989 von Stadt zu Stadt. Erstes Ziel war Essen.
Mein Vorspielen und Auftreten war sehr zurückhaltend. Ich spielte eher wie
vor einer Filmkamera im ‘close up’. Sehr minimalisiert eben. Man sagte mir,
ich hätte tolle Ideen und ich sollte vielleicht besser Regisseur werden.
„Na gut,“ sagte ich mir, „ich kann auch anders“ und spielte beim
nächsten Vorspiel in München sehr expressiv. „Zu selbstbewusst,“ sagte
mir daraufhin ein bebrillter ‘Möchtegern-Heiner-Müller-Klugscheißer’.
„Aber ... probieren sie es doch mal in Berlin. Da suchen sie solche Leute
wie Sie.“ Na toll, vielen Dank für den Tipp, du Idiot, dachte ich mir.
Etwas enttäuscht, aber keineswegs entmutigt fuhr ich nach Berlin. Leonce
aus „Leonce und Lena“ von Georg Büchner wurde zu meiner Paraderolle.
Ich wurde mit elf anderen von 1.200 Bewerbern aufgenommen.
Das Studium dauerte vier Jahre, doch im zweiten Jahr konnte ich während der
Semesterferien schon meine erste Kameraerfahrung machen. Diese Erfahrung
war so schrecklich, dass ich beschloss, nie wieder vor eine Kamera zu treten.
Aber Gott sei Dank, kam alles anders!
Nach und nach, kamen immer mehr Filmangebote.
Meine Meinung über die Arbeit vor der Kamera wandelte sich mehr und mehr zum Positiven.
Am Ende meiner Studienzeit an der HdK stand ich vor der Entscheidung: Film oder Theater.
Eberhard Witt, Intendant am Schauspiel Hannover, wechselte nach München und
bot mir einen Zwei-Jahres-Vertrag am Residenztheater an. Ich entschied mich
für die Theaterarbeit und zog 1993 von Berlin nach München. Trotz
toller Arbeiten mit Leander Haußmann („Romeo und Julia“, „In den Augen
eines Fremden“) und Amelie Niermeyer („Der Streit“ von Marivaux) war mir
die Arbeit am Theater bald zu eng und zu langatmig. Ständig war man
in geschlossenen, dunklen Räumen eingesperrt und bekam das Tageslicht nur an
den Randzeiten des Tages mit. Ich kam mir eher vor wie ein Kulturknecht als
ein Schauspieler. Man bekam von Witt, der mich irgendwie immer an
einen Abteilungsleiter von einem Kaufhaus erinnerte, ein Buch vorgelegt
und musste es spielen. Ob man wollte oder nicht. „Friss oder stirb!“ war
die Devise. Diese Sklaverei hielt ich nicht aus, und ich kündigte nach
meinem zweiten Jahr. Viele wunderten sich, dass ich mich so leichtsinnig
von einem so sicheren Job löste. Aber ich wollte keine Sicherheit.
Gibt es die überhaupt im Leben?
Nach zwei Jahren war ich wieder auf der
freien Laufbahn. Die Filmangebote waren
sofort wieder da, obwohl ich anfangs Be-
denken hatte, ob durch mein Theaterengagement
der Kontakt zur Filmwelt verloren gegangen sei.
Hauptrollen wie in den TV-Filmen „Maja“
oder „Coming In“ waren wichtige Eckpunkte,
aus denen sich wieder neue Projekte und
speziell auch Kinoprojekte ergaben.
So wie Doris Dörrie („Bin ich schön?“) und Thomas Jahn
(„Kai Rabe gegen die Vatikankiller“), die durch diese Filme auf
mich aufmerksam wurden. Sicherlich gewann ich durch meine Fernsehrolle
als ‘Schrader’ bei der Krimireihe „Schimanski“ neben Götz George eine
große Publicity, aber auch hier fühlte ich mich wieder genauso eingeengt
wie damals am Theater. Dieser wieder „sichere“ Job ging mir schnell auf
die Nerven. Ich hatte schlichtweg Befürchtungen, dass ich durch diese Rolle
als Partner von Schimanski schnell in eine Schublade gepackt werde und
mein Lebtag nur noch der „Harry vom Dienst“ bin. Mein Ausstieg aus
diesem Prestigeprojekt wirbelte viel Staub auf. Viele reagierten
mit Unverständnis und durchaus mit Zorn. Schließlich kann man nicht auf
einer High Society Party dem Gastgeber so einfach in den Pool pinkeln.
Andere fanden meinen Ausstieg auch sehr mutig und bestärkten mich,
diesen Schritt zu tun.
Ich wollte mich lieber auf interessantere Projekte konzentrieren.
Low-Budget-Kinofilme wie „Black Souls“ mit Fatih Akin und ausländische
Projekte wie „Les Misérables“ mit John Malkovich und Gérard Depardieu fand
ich persönlich verlockender und spannender.


